Lange vor unserer Zeit lebten ein Mann und seine Frau an Rande des keltischen Dorfes Udelar. Ihre fruchtbaren Felder lagen, so wie heute, hier in der Nähe der Maare. Sie lebten von Ackerbau und Viehzucht und hatten sich einen bescheidenen Wohlstand mit ihrer Hände Fleiß erarbeitet. Sie hieß Hertrud, er Godwill.
Nun war die Zeit der Getreideernte gekommen. Die Bauern mussten damals noch nach der Mahd in mühsamer Arbeit das Korn mit dem Flegel aus den Ähren dreschen. Sie arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Eines Abends, als Godwill und Hertrud erschöpft ihre Arbeit beendet hatten, sagte er zu seiner Frau: „Hertrud, mach uns doch zum wohlverdienten Feierabend ein paar Eierkuchen!“ Die Frau entgegnete jedoch: „ Heute nicht, ich bin von der Arbeit völlig erschöpft, und außerdem ... wir haben kein Mehl mehr im Haus.“ Godwill hatte aber großen Appetit auf Eierkuchen und sprach: „ Ich bin auch sehr müde, doch um heute Abend Eierkuchen zu essen, würde ich jetzt sogar noch zur Holzmühle gehen und Mehl holen.“ Da gab sie nach, bat aber den Godwill sich zu beeilen, denn sie wollte bald ins Bett gehen.
Godwill machte sich auf den Weg zum Müller. Um Zeit zu sparen, nahm er die Abkürzung durch den Wald. Es war zwar schon ziemlich dunkel, doch er kannte sich ja bestens im Wald aus. Als er einige Zeit gegangen war, hörte er plötzlich wehmütiges Rauschen zweier großer Buchen. Er blieb stehen und schaute nach oben in die Baumkronen. Er sah, wie die Zweige der beiden Buchen sich berührten, als ob sie sich umarmen wollten. Und er vernahm in diesem Rauschen das Flüstern ihm wohlbekannter Stimmen. Der eine Baum sagte zum anderen: „Ist dir kalt, Praude? Mir scheint, du zitterst mit all deinen Gliedern.“ Der zweite Baum antwortete: „Ja, Traude, ich bin vollkommen durchgefroren, wie in jeder Nacht. Die Kälte durchdringt mich. Zum Glück gibt es heute Abend bei unserem Sohn Godwill Eierkuchen. Wenn er und seine Frau Hertrud schlafen, können wir uns an seinem Feuer wärmen.“ Traude flüsterte darauf: „Ich werde dich begleiten. Aber wenn du zu Lebzeiten auf mich gehört hättest, brauchten wir jetzt nicht hier zu frieren. Wie oft habe ich dich gebeten, den Ärmeren im Dorf zu helfen. Doch du hast immer gesagt, wir hätten selbst nicht genug. Dabei wäre uns die Hilfe wirklich nicht schwer gefallen. Dein kaltes stolzes Herz hat uns in diese missliche Lage gebracht. Zur Strafe musst du jetzt diese Kälte selbst erleiden und ich werde gleich mit bestraft.“ Daraufhin seufzte Praude nur voller Trauer.
Godwill stockte der Atem. Er spürte sein Herz im Hals schlagen, die Haare sträubten sich, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn und ihm wurde frostig kalt.
Er rannte so schnell er konnte durch den dunklen Wald zur Holzmühle, holte das Mehl und eilte nach Hause.
Hertrud backte den leckersten Eierkuchen, mit Birkensirup, Waldhonig und Marmelade aus Heidelbeeren und Moosbeeren. Aber Godwill war der Appetit vergangen. Er stocherte lustlos mit seinem Löffel im Essen herum und sah immer noch völlig verstört vor sich hin. Er wollte sich nur noch schlafen legen.
Als Hertrud wie jeden Abend die halb verbrannten Holzscheite aus dem Feuer ziehen wollte, sagte Godwill: „Lass doch das Holz bitte im Feuer und lege noch ein paar Scheite nach.“ Das fand Hertrud aber nun sehr seltsam, tat aber worum ihr lieber Godwill sie gebeten hatte.
Nun legten sie sich ins Bett und Hertrud fiel gleich in einen tiefen Schlaf. Aber Godwill konnte nicht schlafen. Er lag angespannt mit offenen Augen und Ohren im Bett und schaute durch das Fenster in den mondbeschienenen Garten.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht sah er, wie sich zwei Buchen schwankend und mit breiten Schritten dem Haus näherten. Ihre gewaltigen Äste wogten hin und her.
Godwill hatte Angst. Die Haustür sprang auf ...und seine verstorbene Mutter Traude und sein verstorbener Vater Praude traten ein und setzten sich ans hell lodernde Feuer der Kochstelle.
Bauer Godwill weckte vorsichtig seine Frau und flüsterte ihr ins Ohr, sie solle doch zum Herd schauen. Doch Hertrud sah nur das flackernde Feuer. Da sagte Godwill, sie solle ihm ihre Hand geben. Und tatsächlich, jetzt konnte auch sie die Eltern am Feuer erkennen. Im Raum war es ganz still.
Um Mitternacht standen die beiden Alten wieder auf und gingen aus der Tür. Durch das Fenster sahen Godwill und Hertrud wie sich zwei große Buchen, in ihren Kronenästen fest umschlungen, vom Haus entfernten und im Dunkel des Waldes verschwanden.
Nun erzählte Godwill seiner Frau aufgeregt von seinem Erlebnis im Wald. Hertrud hörte gespannt zu. Als er fertig war nahmen sich die beiden vor, am nächsten Tag einen Kuchen für die Armen des Dorfes zu backen. Das taten sie dann auch.
Am nächsten Abend gingen Sie Hand in Hand in den dunklen Wald und besuchten die beiden alten Buchen Traude und Praude. Diese standen, verschlungen Ast in Ast, klagten nicht mehr und wisperten: „Danke! Der Fluch ist nun gebrochen“.